Numerische Analyse

Assoziierte Arbeitsgruppe Prof. Klaus Neymeyr (Universität Rostock)

Überblick

Computerbasierte spektroskopische Messtechniken in Verbindung mit mathematischen Analysemethoden sind leistungsfähige Werkzeuge für die Untersuchung chemischer Reaktionssysteme und die Strukturaufklärung. Bei hoher Frequenzauflösung und zeitlich dichter Spektrenaufzeichnung entstehen bei der spektroskopischen Verfolgung einer chemischen Reaktion große Datenmengen. Die diesen Daten zugrunde liegende Komplexität chemischer Reaktionssysteme bietet ideale Anwendungsfelder für datenwissenschaftliche Analysemethoden. Die Themengruppe „Numerische Analyse“ entwickelt und analysiert faktoranalytische chemometrische Methoden für Reinkomponentenzerlegungen spektroskopischer Daten und arbeitet damit in dem interdisziplinären Gebiet der

„Data Sciences“.  Solche Analyseewerkzeuge extrahieren aus den Messdaten die Zahl der beteiligten chemischen Komponenten, deren Reinspektren und die zugehörigen Konzentrationsprofile. Die Abbildung 1 zeigt eine Folge von FT-IR Spektren. Um 2000 Wellenzahlen ist ein Frequenzfenster rot markiert, welches für die Analyse selektiert wurde.

 

Die Arbeitsgruppe ergänzt die numerische Verfahrensentwicklung für die chemometrische Faktoranalyse durch Programmimplementierungen. Aktuelle Anwendungsgebiete sind Reaktionsysteme der homogenen Katalyse in Kombination mit der FTIR und der UV/Vis Spektroskopie, Redoxreaktionen der Spektroelektrochemie sowie Reaktionssysteme, die mit der kernmagnetischen Resonanzspektroskopie (NMR) vermessen werden. Am LIKAT erfolgen Kooperationen vorrangig mit den Gruppen von Prof. Brückner (Börner/Kubis) sowie Profs. Francke und Ludwig.

Viele Reinkomponentenzerlegungstechniken beruhen auf der bilinearen Struktur des Lambert-Beerschen Gesetzes. Wird ein chemisches Reaktionssystem zu einer Zahl von n Messzeitpunkten auf einem Frequenzgitter von k Einzelfrequenzen spektroskopisch beobachtet, so lassen sich diese Messungen in einer k x n Matrix speichern. Das Lambert-Beer Gesetz besagt, dass die Matrix der Messdaten eine Faktorisierung in ein Produkt der Matrix der Reinkomponentenspektren und einen Matrixfaktor der zeitlichen Verläufe der Konzentrationsprofile der Reinkomponenten besitzt. Aus mathematischer Sicht ist das eine Faktorisierungsaufgabe mit komponentenweise nichtnegativen Matrixfaktoren. Im Regelfall gibt es keine eindeutige nichtnegative Faktorisierung. Vielmehr wird angestrebt, durch geeignete Techniken die chemisch richtige Lösung zu extrahieren. Gelingt dies, so hat ein mathematisches Verfahren die komplette Information zu den Reinkomponenten des Reaktionssystems zugänglich gemacht. Die korrekte Reinkomponentenzerlegung kann oft aus der Menge möglicher Faktorisierungen (Area of feasible solutions,  AFS)  gewonnen werden. Berechnungsverfahren für die AFS sind ein Schwerpunktthema der AG Numerische Analyse. Eine chemisch interpretierbare Zerlegung der FT-IR Spektrenserie aus Abbildung 1 ist in Abbildung 2 gezeigt. Eine eindeutige Zerlegung gelingt für dieses System, da für den Faktor der Konzentrationsprofile zusätzlich die Konsistenz mit einem kinetischen Modell gefordert wird.

 

Abbildung 2: Eine Reinkomponentenzerlegung des FT-IR Datensatzes mit drei chemischen Komponenten. Die drei Konzentrationsprofile erfüllen ein vorgegebenes kinetisches Modell. Dadurch gelingt die Extraktion eindeutiger Faktoren.

 

Ein aktueller Arbeitsschwerpunkt der Arbeitsgruppe ist die Identifizierung von „relevanten“ und damit besonders strukturbestimmenden Bereichen in den Spektren [2,5]. Diese sollen zukünftig eine Basis automatisierter, besonders effizienter Zerlegungsroutinen sein.

Für NMR-Daten ist durch die chemische Verschiebung der bilineare Zusammenhang gebrochen. Für NMR-Spektren entwickeln wir splinebasierte Peakverfolgungstechniken für Zeitreihenanalysen. Die Peaks werden mit Lorenz- und Gaußkurven modelliert und deren Parameter in Zeitrichtung mittels Splinefunktionen dargestellt [6]. Die Anwendung auf Niederfelddaten erschließt neue Anwendungsfelder für Benchtop-NMR Geräte.

 

Im Rahmen eines begleitenden DFG-Projekts wurde die Software FACPACK für AFS Berechnungen entwickelt.  Link zur FACPACK Homepage  FACPACK erlaubt für Zwei-, Drei- und Vierkomponentensysteme eine schnelle Berechnung der AFS mit kontrollierbarer Approximationsgenauigkeit. Werkzeuge für die Reduktion der Faktormengen werden zur Verfügung gestellt. Sogenannte Dualitätsprinzipien sind dafür von zentraler Bedeutung.   

Die Berechnung der AFS ist oft nur ein erster Schritt in der Faktoranalyse. Eine Anpassung an ein kinetisches Modell (etwa Michaelis-Menten Kinetik) kann sich anschließen. In einem hybriden Ansatz gelingt es, die Berechnung der Zerlegung und die Anpassung der kinetischen Parameter zu koppeln. Dieses grundsätzliche Vorgehen wurde mehrfach erfolgreich für die Reinkomponentenzerlegung von Reaktionssystemen der homogenen Katalyse eingesetzt.

Die interdisziplinäre Projektarbeit führte einerseits zu mathematisch-algorithmischen Neuentwicklungen und andererseits zu Fortschritten beim Verständnis etwa im Bereich der Rhodium- und Iridiumkatalysierten Hydroformylierung. Die Arbeitsgruppe freut sich auf weitere Kooperationen zu chemometrischen Fragestellungen und lädt zur Kontaktaufnahme ein.

Literatur:

Ein umfassendes Literaturverzeichnis findet sich unter diesem Link.

[1] M. Sawall, M. Rüdt, J. Hubbuch, K. Neymeyr, J. Chromatogr. A, 2020, 1627, 461420, On the analysis of chromatographic biopharmaceutical data by curve resolution techniques in the framework of the area of feasible solutions.

[2] M. Sawall, C. Kubis, H. Schröder, D. Meinhardt, D. Selent, R. Franke, A. Brächer, A. Börner, K. Neymeyr, J. Chemom. 2019, 32(6), e3012, Multivariate curve resolutions methods and the design of experiments.

[3] H. Schröder, C. Ruckebusch, O. Devos, R. Metivier, M. Sawall, Denise Meinhardt, K. Neymeyr, Chemom. Intell. Lab. Syst., 2019, 189, 88-95, Analysis of the ambiguity in the determination of quantum yields from spectral data on a photoinduced isomerization.

[4] V. Overbeck, B. Golub, H. Schröder, A. Appelhagen, D. Paschek, K. Neymeyr, R. Ludwig, J. Mol. Liq., 2020, 319, 114207, Probing relaxation models by means of fast field-cycling relaxometry, NMR spectroscopy and molecular dynamics simulations: Detailed insight in the translational and rotational dynamics of a protic ionic liquid.

[5] B.J. Elvers, M. Sawall, E. Oberem, K. Heckenberger, R. Ludwig, K. Neymeyr, C. Schulzke, V. Krewald, C. Fischer, Chemistry-Methods, 2020, 1, 22-35, Towards operando IR- and UV-vis-spectroelectrochemistry: a comprehensive matrix factorisation study on sensitive and transient molybdenum and tungsten mono-dithiolene complexes.

[6] D. Meinhardt, H. Schröder, J. Hellwig, E. Steimers, A. Friebel , T. Beweries, M. Sawall, E. von Harbou, K. Neymeyr, Model-based signal tracking in the quantitative analysis of time series of NMR spectra, Accepted for Journal of Magnetic Resonance 2022.